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ie energische Auseinandersetzung mit Safran und Sarah ließ den rothaarigen Bandenführer mit zwei Schwierigkeiten zurück. Die erste war, dass er Schmerzen beim Kämmen hatte. Er hörte auf, sich die Haare zu kämmen. Damit war dieses Problem gelöst.

Die zweite Schwierigkeit war, dass Indigo (momentan) nicht angefasst werden durfte. Der Gedanke an eine weitere Auseinandersetzung mit Safran und Sarah war zu schrecklich. Das scharfsinnige und einfallsreiche Gehirn des Bandenführers beschäftigte sich mit dieser Komplikation, aber sie bekümmerte ihn nicht sehr lange. In der Schule konnte vieles geschehen, das Indigo nicht gefallen würde.

Zum Beispiel das, was schon angefangen hatte.

Jeder wusste, wie zart besaitet Indigo war, wenn er mit anschauen musste, wie die Bande ihre Späße mit einem Opfer trieb. Leicht ließ sich arrangieren, dass er mehr davon sah. Es war noch nicht einmal nötig, einen Jungen vom Pöbel dafür zu opfern. Genau im richtigen Moment war ein Neuer gekommen. Tom, kritisch und spöttisch, forderte Ärger geradezu heraus.

Zuerst fiel es dem rothaarigen Bandenführer schwer, die Aggressionen des Pöbels von Indigo auf Tom zu lenken. Der Pöbel war kein sehr intelligenter Haufen. Immer und immer wieder musste er geduldig daran erinnert werden: »Nicht er! Tom! Dort drüben!« Es war ein wenig, als würde man Hunde abrichten.

Indigo lief immer zu Toms Verteidigung herbei, wenn die Hunde in Aktion traten, aber bald stellte er fest, dass er keine große Hilfe war. Er war wieder unsichtbar geworden. Wenn er sich auf die Menge stürzte, die Tom knuffte und herumstieß, teilte sie sich vor ihm, schloss sich jedoch sofort wieder hinter ihm. Die Jungen waren taub für seine Rufe. Sie schienen keine Schmerzen zu spüren, wenn er ihnen auf den Rücken hämmerte. Der rothaarige Führer mit dem knochigen Gesicht lächelte freundlich durch ihn hindurch, als wäre er ein Loch in der Wand.

In der ersten Woche sahen Toms Sachen von Tag zu Tag erbärmlicher aus, Tom aber unerklärlicherweise nicht. Egal wie unterlegen er seinen Gegnern war, er kämpfte immer. Er weigerte sich, Opfer zu sein, und bald stellte sich heraus, dass es der Bande noch nie schwerer gefallen war, jemanden zu drangsalieren. Der Pöbel musste ständig daran erinnert werden, seine Pflicht zu tun. Der Führer hatte noch nie so schwer arbeiten müssen. Teil seines Problems war, dass Tom nicht aufhörte zu reden.

Indigo hörte Tom zu und wusste nicht, was er davon halten sollte. Offensichtlich redete Tom, weil es ihm gefiel, wenn man ihm Aufmerksamkeit schenkte. Er liebte ein Publikum, irgendein Publikum, selbst ein Publikum von Feinden, solange es von ihm gefesselt war.

Nichts konnte unbeteiligter, vernünftiger, selbstsicherer sein als Toms Art, seine unglaublichen Geschichten zu erzählen.

»Dein Dad ist ein Astronaut, stimmt’s?«, fragte zum Beispiel jemand.

»Stimmt«, sagte Tom träge.

»Du hast gesagt, ein Astronaut?«

»Im Moment.«

»Was soll das heißen, im Moment?«

»Nun, offensichtlich war er nicht immer ein Astronaut. Man wird nicht als Astronaut geboren.«

Dann entstand eine Pause. Mitglieder des Pöbels, Übersehene, aber Beschützte, und gelegentliche Anhänger berieten sich. Offensichtlich wurde man nicht als Astronaut geboren. Hielt Tom sie für dumm?

Ein neuer Fragesteller trat vor.

»Was war er früher?«

»Baseballspieler.«

Niemand in der Klasse von Tom und Indigo, niemand in der ganzen Schule wusste etwas über Baseballspieler, aber trotzdem, es klang unwahrscheinlich.

»Lügner.«

Tom zuckte die Achseln.

»Willst du damit sagen, ein guter Baseballspieler?«

Tom schien immer einen Gummiball dabeizuhaben. Er zog einen aus der Tasche und warf ihn von einer Hand in die andere, doch die Fragerei ging weiter.

»Du meinst, ein richtiger Baseballspieler?«

Tom warf seinen Ball an die Decke, fing ihn und schaute mit hochgezogenen Augenbrauen kurz zu dem Frager hinüber. Sein Blick schien von der Welt wissen zu wollen: »Was ist das für ein Idiot?«

»Du meinst, ein professioneller Baseballspieler?«

Tom verlor das Interesse und schlenderte davon, wobei er immer noch den Ball an die Decke warf. Er hinterließ eine Spur aus kleinen runden grauen Flecken hoch über seinem Kopf und einen Haufen Jungen, die sagten: »Was für ein Lügner! Was für ein totaler Lügner!«

»Wer ist ein Lügner?«, fragte der rothaarige Bandenführer. »Wer?«

»Tom.«

»Levin? Tom Levin? Ja«, sagte der Bandenführer im Brustton moralischer Überlegenheit. »Ja. Er ist ein Lügner.«

Im Unterricht arbeitete Tom überhaupt nicht mit. Er tat gar nichts. Wenn ihm eine Frage gestellt wurde, zuckte er die Achseln und antwortete: »Wer weiß?« Seine wachsamen, spöttischen braunen Augen sagten noch deutlicher: »Wen interessiert das?«

Manchmal holte er seinen Ball aus der Tasche und warf und fing ihn von Hand zu Hand. Die Würfe begannen sehr klein und zum Fangen machte er kaum eine Bewegung. Doch fast unmerklich wurde die Flugbahn des Balls größer. Tom kippte seinen Stuhl zurück, damit er mehr Raum hatte. Er machte das Spiel noch interessanter, indem er mit geschlossenen Augen fing. Dann ließ er den Ball auf dem Boden aufspringen.

Das konnte kein Lehrer lange ertragen, und früher oder später wurde Tom hinausgeschickt. Er ging jedes Mal bereitwillig. Im Klassenzimmer hörten sie das Aufspringen seines Balls, es wurde immer schwächer, während er davonging.

 

*

 

Am Donnerstagnachmittag erschien Derek-vom-Camp bei den Cassons. Er war zufällig vorbeigefahren, sagte er, und hatte angehalten, um hallo zu sagen. Rosa kam gerade zur selben Zeit nach Hause und in einem Moment der Inspiration fragte sie ihn: »Kannst du Autos reparieren?« Es stellte sich heraus, dass Derek sensationell gut Autos reparieren konnte und das der Cassons fast sofort durch die einfache, aber höchst wirksame Zugabe von Benzin fahrbereit machte.

»Ich wusste doch, dass ich noch irgendwas kaufen wollte!«, rief Eve, entzückt von der guten Nachricht. »Jetzt kannst du einkaufen«, sagte Rosa.

»Oh ja.« Eve klang nicht begeistert.

Indigo und Saffy kamen aus der Schule und fanden sie mit einer Einkaufsliste beschäftigt, während Rosa Dereks Autoreparaturtalente damit belohnte, dass sie sein Porträt zu den Menschen auf ihrem Bild an der Küchenwand hinzufügte.

»Hallo, Saffy, hallo, Indigo«, sagte Eve. »Batterien, Terpentin, Haartönung... Sprecht nicht mit mir! Ich versuche zu denken! Liebling Derek hat den Wagen repariert!« Derek schaute ein wenig überrascht hoch und Rosa sagte streng: »Sie nennt jeden Liebling! Halte still!«

»Ich nenne nicht jeden Liebling!«, protestierte Eve. »Brauchst du noch Pastellfarben, Rosa?«

»Ja bitte. Ich brauche immer welche.«

»Batterien, Terpentin, Haartönung, Pastellfarben für Rosa. Ein paar Blumen wären hübsch, diese großen rosa Lilien... Was sollten wir noch kaufen?«

»Lebensmittel«, sagte Safran streng.

Eve seufzte schwer und fragte: »Welche Lebensmittel?«

»Sachen fürs Frühstück«, sagte Rosa sofort. »Sachen fürs Abendessen, Sachen für zwischendurch, Cola light und Kaffee, damit du wach bleibst, und was Daddy mag für den Fall, dass er morgen nach Hause kommt.«

»Oh Rosa«, sagte ihre Mutter. »Daddy hätte sich inzwischen gemeldet, wenn er morgen kommen wollte.«

Es entstand ein kurzes Schweigen, in dem jeder Rosa ansah. Rosa sagte nichts, aber sie hörte auf, Derek zu malen, und skizzierte stattdessen etwas sehr schnell am Rand des Bildes. Im Handumdrehen war das tiefe Wasser, das an die Mauern des Hauses leckte, voller Rückenflossen umherschwimmender Haie.

Derek hatte sie auch beobachtet. »Rosa, du zeichnest absolut fantastisch.«

Rosa warf einen raschen Seitenblick auf ihn, um zu sehen, ob er sie aufzog. Nein, entschied sie, und sie fing an, ihn sehr zu mögen.

Safran fragte ihn etwas, worüber alle schon nachgedacht hatten: »Derek, was machst du in deinem Camp?«

»Ich schreibe meine Dissertation. Ein Buch«, fügte er für Rosa hinzu. »Ich schreibe mein Buch.«

»Mann! In einem Zelt?«

»Droben im Moor. Dort oben sind überall Anlagen aus der Bronzezeit. Steinkreise, Steinpfeiler. Unglücklicherweise ist dort auch ein großer Steinbruch, eine Firma will die ganze Hügelseite von unten herausbrechen.«

»Von unten?«, fragte Indigo.

»Ja.«

»Fällt dann nicht alles, was oben ist, hinunter?«

»Nur zu wahr«, sagte Derek grinsend. »Deshalb sind wir dort. Wir sind ein Protestcamp!«

Später, als er gegangen und Eve zum Einkaufen gefahren war, fragte Rosa Indigo: »Was machen Protestcamps?«

»Sie protestieren«, erklärte Indigo. »Sie machen Wirbel wegen Dingen, die sie für falsch halten. Statt sich einfach damit abzufinden.«

»Oh«, sagte Rosa. »Nun, ich weiß etwas, weswegen du einen Wirbel machen solltest, weil dieser Junge in meiner Klasse, der einen Bruder in deiner Klasse hat, mir erzählt...«

»Ich will nicht wissen, was er gesagt hat!«, unterbrach Indigo sie ärgerlich. »Hör auf, diesem Jungen zuzuhören!«

»Ich wollte nur sagen, dass du und Tom ein Protestcamp machen könntet!«

Indigo schaute aus dem Fenster in den Dauerregen hinaus und musste wider Willen lachen.

»Derek macht das«, erinnerte ihn Rosa, aber fairerweise musste sie hinzufügen: »Deshalb ist er immer voller Schlamm.«

»Ich glaube, er kommt her, um sich aufzuwärmen«, meinte Safran. »Haben dieser Junge und seine Bande dich wieder belästigt, Indigo?«

»Nein«, sagte Indigo.

»Ihr Glück! Ich habe nicht gewusst, dass du mit Tom befreundet bist.«

Indigo hätte fast gesagt, er auch nicht, aber dann dachte er ein wenig weiter. Vielleicht freundeten sie sich an. Sie standen jedenfalls zweifellos auf derselben Seite. Warum sollten sie nicht Freunde sein?

»Warum sollten wir nicht Freunde sein?«, sagte er laut zu Saffy.

»Nichts spricht dagegen«, antwortete Saffy fröhlich.

Daran dachte Indigo, als er am Freitag in die Schule ging. Am Morgen war das Wetter immer schlechter geworden, bis es zur Mittagszeit so schlimm war, dass man niemanden hinausschicken konnte. Indigos Klasse, die als eine besonders angenehme und verantwortungsbewusste Schülergruppe galt, durfte unbeaufsichtigt in ihrem Klassenzimmer bleiben, bis der Nachmittagsunterricht begann.

Fast die ganze Klasse war schon versammelt, als Indigo nach dem Essen den Raum betrat. Sobald er durch die Tür ging, war ihm klar, dass es Ärger geben würde. Der rothaarige Bandenführer schaute nach ihm aus. Indigo hörte, wie beabsichtigt, die leisen Worte: »Nicht er, Levin.«

Schnell schaute sich Indigo nach Tom um. Er stand an einem Fenster und unterhielt wie gewöhnlich ein Publikum. Er sah aus, als hätte er alles im Griff, warf einen Ball durchs Zimmer auf ein paar zufällig ausgewählte Angehörige des Pöbels und fing ihn geschickt jedes Mal, wenn er zurückflog.

»Wenn du den Ball verfehlst, saust er direkt durchs Fenster«, sagte der rothaarige Bandenführer zu ihm.

»Als ob dir das was ausmachen würde.« Tom zog spöttisch die Augenbrauen hoch und zielte auf den Kopf des Bandenführers, der den Ball fing und vorsichtig zurückwarf, als würde es ihm tatsächlich etwas ausmachen. Tom steckte den Ball verärgert in die Tasche. Offensichtlich fand er das Spiel nicht interessant, wenn man keine Glasscherben riskierte.

Indigo entspannte sich, sowie der Ball sicher aus dem Weg war. Einer vom Pöbel wollte nicht, dass die Unterhaltung so schnell aufhörte, und rief: »He, Tom, erzähl uns von deiner Mutter! Wie geht’s den Bären?«

Tom zuckte gereizt die Achseln, ging durch den Raum und ließ sich an einem Tisch auf den Stuhl fallen. Gerade in dem Moment streckte der rothaarige Bandenführer direkt unter Indigos Nase die Hand aus und zog Tom den Stuhl weg.

Tom setzte sich mit einem widerlichen Plumps ins Nichts und ringsum brach Gelächter aus.

Tom stöhnte. Bleich wie nasses Papier krümmte er sich zusammen, würgte und schlug mit der Stirn auf die Knie. Indigo ließ sich neben ihn fallen und packte ihn an den zitternden Schultern. Eindringlich sagte er: »Versuch dich nicht zu bewegen! Lass den Kopf unten!«

Tränen strömten Tom übers Gesicht, er weinte vor Wut und Schmerz.

»Gib ihm lieber ein Küsschen, Indigo«, sagte der rothaarige Bandenführer.

»Lauf und hol deine Schwester«, schlug ein anderer vor. Tom befreite sich mühsam aus Indigos Griff und taumelte hoch. Er schaute sich um und versuchte zweimal, etwas zu sagen, brachte aber kein Wort heraus. Er stolperte zur Tür, wobei er von Tisch zu Tisch Halt suchte. Indigo lief ihm voraus, bahnte ihm einen Weg durch den kichernden Pöbel und führte ihn aus dem Zimmer.

Niemand folgte ihnen, während sie die Hintertreppe hinunter und durch einen Gang gingen. Tom war bleich und verschwitzt und schwieg, als wäre er allein.

Sie kamen an eine kleine Tür, die an der Rückseite der Schule hinausführte. Tom schwankte auf sie zu, nach einem Augenblick drückte er sie auf. Indigo folgte ihm hinaus und beobachtete, wie Tom sich an eine Mauer lehnte und im Regen nach Luft schnappte.

»Was hast du vor?«, fragte er, als Tom endlich freier atmete. »Ich bringe dich nach Hause, wenn du willst. Oder hole einen Lehrer, der dir hilft.«

»Lass mich allein. Ich will niemanden hier.«

»Ich kann dich nicht einfach allein lassen.«

Tom zuckte die Achseln und wandte sich ab.

Sie waren im hinteren Pausenhof, wo das Schulgelände besonders trostlos war, und der graue nasse Tag ließ es noch schlimmer erscheinen. Auf einer Seite waren der Esssaal und Küchen. Daneben befand sich eine alte Feuertreppe, eine Wendeltreppe aus Metall, die von einer Tür im Obergeschoss hinunterführte. Die unterste Stufe war mit Ketten abgesperrt, der Zugang streng verboten. Tom ging hinüber und stieg mühsam über die Ketten. Der Regen wurde plötzlich heftig und färbte die Rückseite seines grauen T-Shirts in Sekunden schwarz.

Indigo sah, wie Toms Schultern zuckten und dann anfingen zu zittern.

»Hier«, sagte er, zog seine Jacke aus und hielt sie Tom hin. Tom schien sie nicht zu sehen. Selbst als Indigo direkt neben ihn stieg, schaute er nicht auf. Er bewegte sich nicht, während Indigo sich hinunterbeugte und ihm die Jacke um die Schultern legte.

Der Regenguss ging wieder in ein Nieseln über. Hinter ihnen läutete es, schnelle Schritte waren zu hören und das Öffnen und Schließen von Türen.

»Ich gehe zurück und hole deine Jacke und deine Sachen«, sagte Indigo, als es allmählich aussah, als wollte Tom den Nachmittag auf der Feuertreppe im Regen verbringen. »Ich beeile mich. Dann gehen wir nach Hause.« Tom rührte sich nicht.

Im Klassenzimmer war jetzt eine Englischstunde im Gang. Dem Lehrer hatten sie gesagt, Tom sei es schlecht geworden und Indigo habe ihn hinausbegleitet, das war alles.

»Geht es Tom besser?«, fragte der Lehrer, als Indigo hereinkam.

Auf diese Frage gab es zu viele Antworten, sodass Indigo gar nicht anfangen konnte, darüber nachzudenken. Er sagte: »Er braucht seine Jacke«, und nahm sie von der Stuhllehne. Ein roter Gummiball fiel aus einer Jackentasche, Indigo bückte sich und hob ihn auf.

»Braucht er den auch?«, fragte der Lehrer ziemlich abfällig, weil er Toms Ballspieltalente nicht bewunderte.

»Ja.«

»Kümmert sich jemand um ihn?«

»Ja«, sagte Indigo; schließlich kümmerte er sich um Tom. »Nun, dann setz dich bitte. Du hast genug Zeit vergeudet. Die Stunde ist fast vorbei. Tom kommt bestimmt ein paar Minuten länger ohne seine Jacke aus.«

»Aber ich habe gesagt, ich würde sie ihm holen!«

»Setz dich bitte, Indigo! Und schreib die Hausaufgaben von der Tafel ab. Dann kannst du gehen.«

Wütend setzte sich Indigo. Von der anderen Seite des Gangs beugte sich der rothaarige Bandenführer zu ihm herüber und murmelte: »Du solltest vorsichtiger sein, Casson! Du kannst leicht jemanden verletzen, wenn du ihm so den Stuhl wegziehst!«

Indigo fuhr wütend herum. Der Lehrer rief streng durchs Zimmer: »Was geht dort drüben vor?«

»Indigo ist ein bisschen verstört«, erklärte der Bandenführer. »Wegen Tom. Tom hat sich hingesetzt und seinen Stuhl verfehlt und Indigo musste lachen...«

»Wenn das kein dummer, gefährlicher Streich ist!«, rief der Lehrer. »Warum hat mir das vorher niemand gesagt? Wo ist Tom jetzt?«

»Ihm geht es gut, Sir«, sagte der rothaarige Bandenführer beruhigend. »Ich habe ihn gesehen, als ich diese Bücher für Sie holte. Jemand war bei ihm.« Er schaute rasch zu Indigo hinüber, als wollte er sagen, ich habe das im Griff.

Draußen im Gang läutete es.

»Geht alle in eure nächste Klasse«, befahl der Lehrer und schaute gereizt in die eifrigen Gesichter des Pöbels. »Indigo, bleib hier.«

Die anderen gingen diskret hinaus. Indigo sagte: »Ich habe Tom nicht den Stuhl weggezogen!«

»Hat das jemand behauptet?«

»Ich habe auch nicht gelacht!«

»Das will ich hoffen. Du weißt doch, Indigo, dass diese Schule keine Art von Mobbing duldet?«

»Ja, aber...«

»Und keine Raufereien. Schau dir deine Hände an.«

Jetzt merkte Indigo, dass er die Hände zu Fäusten geballt in die Luft gestreckt hatte. Er ließ sie langsam sinken.

»So ist es besser. Hast du dich mit Tom gestritten?«

»Nein. Tom ist mein Freund.«

»Das freut mich zu hören. Sag ihm, ich möchte ihn heute noch sehen, bitte.«

»Ja, Sir.« Indigo wusste, dass er viel zu lange weggeblieben war. Jetzt wollte er nur noch schnell zu Tom zurück. Der Lehrer nickte und eilte in seine nächste Klasse. Indigo drehte sich um und lief den Gang entlang.

Ein Blick durch die Tür zum hinteren Pausenhof zeigte ihm, dass Tom gegangen war.

»Hast du deinen kleinen Freund verloren, Casson?«, fragte der rothaarige Bandenführer, der mit einer Gruppe Pöbel vorbeistolzierte.

»Oh, lass mich in Ruhe!«, schrie Indigo.

»Machen wir«, sagte jemand im Vorbeigehen. »Das machen wir!«, und Gelächter brandete auf.

Indigo wartete, bis sie vorbei waren, dann öffnete er wieder die Tür. Tom war nirgends in Sicht, doch die Jacke, die er ihm geliehen hatte, hing über der Kette, mit der die Feuertreppe abgesperrt war.

Indigo ging hinaus und holte sie.

Tom hatte die Jacke so gefaltet, dass die Innenseite noch trocken war. Er hätte sie auch wütend zur Seite werfen können, sodass sie nass geworden wäre, aber das hatte er nicht getan.

Der Regen, der den ganzen Tag gefallen war, hatte endlich aufgehört und plötzlich, während Indigo da stand, kam die Sonne hervor.

Gespiegeltes Licht blitzte aus den Pfützen im Hof und blendete Indigo. Die unerwartete Helligkeit munterte ihn plötzlich auf. Er zog seine Jacke an und machte sich auf die Suche nach Tom.