»Mir brechen gleich die Finger ab!«, beschwerte sich Oma Friedel. »Warum muss eigentlich das Bett mit? Opa Rudi braucht kein Bett! Er hat zu Hause einen schönen Sarg …«
»Einen Sarg?«, rief Opa Rudi, und seine Angst kehrte zurück. Er stemmte sich hoch, klammerte sich an die Bettpfosten und sah Oma Friedel böse an. »Ich brauche keinen Sarg! Noch bin ich nicht gestorben!«
»Ach, Liebster!«, brummte Oma Friedel. »Du hast wirklich ganz und gar vergessen, dass du ein Vampir bist! Was ist nur mit deinem Kopf passiert? Hoffentlich kriegen wir das wieder hin!«
»Ich – ein Vampir?«, stieß Opa Rudi entsetzt aus. »Ihr spinnt doch alle! Das mache ich nicht mehr mit!«
Er rollte sich auf die Seite, und ehe jemand eingreifen konnte, fiel er aus dem Bett und segelte durch die Luft nach unten. Die Äste eines Baumes bremsten seinen Fall. Ein Zweig bohrte sich durch seine Schlafanzugjacke und hielt ihn einige Momente fest.
»Ich bringe ihn zurück«, zischte Konrad Ella zu. »Haltet das Bett gut fest!« Er ließ seine Ecke los und flog nach unten. Es gelang ihm, Opa Rudi am Arm zu packen – gerade in dem Moment, als der Stoff der Schlafanzugjacke riss.
Opa Rudi fiel nach unten und zog Konrad mit sich. Konrad versuchte sein Bestes, doch er packte Opa Rudi nicht allein. Es gelang ihm nur, den Fall etwas zu bremsen. Dann stürzten beide auf den Boden – zum Glück auf eine moosige Stelle.
»Aua!« Konrad rappelte sich vorsichtig auf und testete seine Glieder. Sein Arm schmerzte etwas, aber er war nicht ernsthaft verletzt. Aber Opa Rudi lag da und rührte sich nicht. Konrad kniete sich neben ihn ins Moos und tätschelte seine Wangen.
»Opa Rudi, hörst du mich? Ach bitte, mach doch die Augen auf!«
Opa Rudi stöhnte leise. Dann bewegte er sich – und sah Konrad ins Gesicht.
»Konrad! Was machst du denn hier?« Er versuchte sich aufzusetzen und jammerte dabei. »Au, mein Rücken! Warum sind wir im Wald, Konrad? Was ist geschehen?«
Konrad hätte vor Freude fast geheult. Opa Rudi konnte sich wieder erinnern!
»Das ist eine lange Geschichte!«, sagte Konrad. »Wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht!«
Inzwischen waren auch die anderen Vampire gelandet – mitsamt Bett. Wolfi sprang herunter, froh, wieder festen Boden unter den Pfoten zu haben.
»Was ist das für ein Bett?«, fragte Opa Rudi verwundert. »Und warum schleppt ihr es durch die Gegend?«
Konrad und Ella erzählten, was passiert war. Opa Rudi schüttelte immer wieder den Kopf.
»Daran kann ich mich überhaupt nicht erinnern«, sagte er. »Wie gut, dass ihr mich da rausgeholt habt. Ich weiß nur noch, wie ich mich mit Oma Friedel gestritten habe …«
»Das tut mir so leid«, unterbrach Oma Friedel ihn und küsste ihn zärtlich auf die Stirn. »Ich habe es nicht so gemeint, das musst du mir glauben!«
»Jedenfalls war ich ganz schön wütend, dass du mich rausgeworfen hast«, erwiderte Opa Rudi und grinste verschmitzt. »Ich wollte zuerst wirklich bis ans Ende der Welt reisen. Doch als ich ein Stück mit dem Bus gefahren war, wurde mir bewusst, wie schön die Gegend hier ist – die hohen Berge, der See … Das ist meine Heimat, und eigentlich wollte ich nicht mehr fort. Ich stieg also aus und wollte zur Gruft zurückfliegen. Doch ich war das Fliegen nicht mehr gewohnt – und mir wurde in der Luft plötzlich schwindelig. Ich muss abgestürzt sein. Von da an weiß ich nichts mehr.«
»Ein Spaziergänger hat dich gefunden«, erzählte Konrad. »Und weil du nicht einmal mehr deinen Namen wusstest, hat man dich ins Haus Sonnenschein gebracht. In der Zeitung ist sogar ein Foto von dir abgedruckt. Man will wissen, wer der Unbekannte ist.«
»Ein Foto?«, wunderte sich Opa Rudi. »Wie kann das sein? Vampire lassen sich nicht fotografieren und haben auch kein Spiegelbild!«
»Wir haben uns schon überlegt, ob es an Omas Sonnenmilch liegen könnte«, sagte Konrad.
»Hm.« Opa Rudi machte ein nachdenkliches Gesicht. »Das könnte natürlich sein.«
»Vielleicht haben wir ja auch ein Spiegelbild, wenn wir die Sonnenmilch verwenden«, meinte Oma Friedel aufgeregt. Ihre Augen glänzten. »Dann könnte ich mich endlich mal im Spiegel sehen und müsste mich nicht immer auf euer Urteil verlassen … Das muss ich sofort ausprobieren, wenn wir zu Hause sind.«
Konrad half Opa Rudi hoch. »Bist du in Ordnung? Oder hast du dich beim Sturz verletzt?«
»Mir geht es gut«, behauptete Opa Rudi. »Aber zurück zur Gruft gehe ich lieber zu Fuß. Ich traue mich nicht mehr zu fliegen, vielleicht wird mir da wieder schwindelig.«
»Dann gehe ich auch zu Fuß«, meinte Oma Friedel und hakte sich bei Opa Rudi unter. »Und unterwegs können wir eine Menge besprechen, nicht wahr? Ich glaube, das ist mal nötig.«
»Du hast wie immer recht, mein Zuckerpüppchen«, sagte Opa Rudi, und Oma Friedel küsste ihn zärtlich auf die Nase. »Die anderen können gerne zurückfliegen. Wir kommen gemütlich nach.«
»Bis zum Sonnenaufgang schaffen wir das.« Oma Friedel war zuversichtlich.
»Und was machen wir mit dem Bett?«, fragte Ella.
»Das lassen wir hier einfach stehen.« Konrad grinste. »Für müde Wanderer zum Ausruhen! Komm, Ella, lass uns nach Hause fliegen!«
Er nahm Ella an der linken und Roswitha an der rechten Hand. Dann erhoben sie sich in die Lüfte.
Thea und Tante Anna folgten.
»Halt!«, rief Ella. »Was ist mit Wolfi?«
Wolfi schaute zu ihnen herauf und wedelte mit dem Schwanz.
»Ich bleibe bei Opa Rudi und Oma Friedel und helfe ihnen, den Weg nach Hause zu finden!«
»In Ordnung!« Ella nickte zufrieden. »Dann ist ja alles gut. Los, Konrad! Und ein bisschen Tempo, wenn ich bitten darf!«